Dörthe Rutkowsky
Liebe Annemarie!
Danke für die Musik! Ich sehe schon, Du verstehst es, Dir auch in Deinem Ruhesessel Deine eigene Welt zu schaffen. Das ist es auch, was ich so deutlich spürte, als ich auf Deiner Web-Seite spazieren ging. Wie viel neue Gedichte, einige kannte ich, weil wir darüber gemailt haben. Aber wenn ich das ganze lese, wie viel Welt holst Du Dir in Deine Abgeschiedenheit! Die Welt, mit der Du Dich auseinandersetzt, Gedanken und Fragen nachspürst, ihnen eine eigene Form und Gestalt gibst. Mich berührt das sehr. Ich kann Dich in Deinen Gedichten fühlen, Deine Freude, die Sorgen, das Erleben einer sich verändernden Welt, auch des eigenen Lebens, die Endlichkeit, alles ist da. Und ich glaube, Du weißt auch, was Du da für einen Schatz Dir und uns geschaffen hast.
Es ist so schön, dass wir Dich haben kennenlernen dürfen und wie Du erinnerst, die Zeit zusammen auf Fehmarn war wunderbar. Auch wie wir Dich noch einmal runter an den Strand zwischen die Steine bugsiert haben, daran erinnert sich Günter ganz besonders gern, das war noch einmal etwas ganz Besonderes.
Ich wünsche Dir einen leichten Tag,
Dörthe
Gärten entzünden
mit dem Blütenstaub
der Freude
verschwenderisch
Gärten entzünden
Es ist gut Gestern
barfuß zu gehen habe ich kühn
sich fußfest meine Kraft
einzudrücken dem Frühling
in die ziehende Zeit versprochent
einen kargen Boden spatenstichtief
aufzukrusten Träume einzusäen
Sand zu spüren unter der Oberfläche
zwischen den Zehen verhärteter Furchen
Sand zu bewegen
im Wettlauf
mit wütigen Winden
Etwas gegen den Wind setzen Komm
etwas Helles gegen die Nacht brich mit mir auf
etwas Festes gegen den Schwindel in ein neues
etwas Klingendes gegen die Leere des Menschen Schwingen
einen Traum gegen den Tag sind die Träumré
eine Insel gegen den Lärm des Menschen Zukunft
eine Rose gegen den Winter lauter leere Räume
ein Tun gegen das Chaos dass du sie füllst
ein Gedicht gegen die Sprachlosigkeit
Gebete gegen den Stumpfsinn
etwas gegen den Wind setzen
Frühlingstag Bau dir ein Haus
Häng deine Trauer fest für den Rücken
an den Magnolienbaum das dich särkt im aufrechten Gang
zwischen wachsweiche Blüten bau dir ein Haus
häng deine Trauer tragbar für die Tasche
an den Birkenzweig das dich begleitet quer durch die Zeit
zwischen silberzarte Blätter bau ir ein Haus
häng deine Trauer erborgen im Herzen
an den Fliederstrauch das dich wärmt im winterlichen Frost
zwischen sonnensatte Dolden bau dir ein Haus
häng deine Trauer hell hinter den Gedanken
an den Frühlingstag das dich wärmt zu nächtlicher Stund
zwischen himmelhelle Gedanken
Dornen
gestern
dacht ich
in Rosen
heute
zupf ich
die Dornen
aus den
Gedanken
Die Angst
nah neben dir
lauf ihr nicht fort
versteck dich nicht
erfasse sie
eh sie dich erfasst
verwandle sie
eh sie dich verwandelt
entdecke dich
eh dich
die Angst entdeckt
Stich um Stich
(für eine Krebkranke)
du umsäumst dein Leid
Stich um Stich
mit Fäden aus Licht
Stich um Stich
nadelst du dich ein
in die Dunkelheit
Stich um stich
umschlingt dein Lächeln
den Schmerz
Stich um Stich
wächst Hoffnung
mitten in Ängsten
Stich um Stich
befreist du dich
aus der Klammer des Nichts
Stich um Stich
stickst du ein Kunstwerk
gegen Zerstörung
Laß mich traurig sein
über den Luftballon
der fortfliegt
über die Seifenblase
die zerspringt
über Vorsätze
die wie Wasser zerrinnen
über das Blatt
das fällt
über die Stunde
die versickert
über das Lächeln
das zu Eis gefriert
über die Fessel
an den Händen
über die Schnur
um den Hals
über die Flügel
die nicht tragen
lass mich traurig sein
bis ein Lächeln
mich tröstet
Gott
das ist
die Kraft der Veränderung
dein Aufbruch über Grenzen
dein Verständnis von Frieden
als Frucht der Gerechtigkeit
dein Widerstand gegen Gewalt
deine Vernunft
bei Forschung und Fortschritt
deine Glaubwürdigkeit im Alltag
deine Brüderlichkeit
mit der Natur
deine Schwesterlichkeit
mit den Schwachen
deine Beständigkeit im Tun
deine Fähigkeit dich zu freuen
Gott
Du bist wie Du bist
Licht ist Dein Kleid
das Du uns alle Morgen neu
um die Schulter legst
Du bist der Wind
in den Segeln
unseres Aufbruchs
Abschied
nimm Abschied
lange bevor du gehst
gewinne früh
was du verlierst
entdecke Zwischenräume
entdecke Nicht-Räume
entdecke Land
wo Verlorenes blüht
Erwachen
gestern Nacht
kam auf leisen Sohlen
der Tod ins Nachbarhaus
komm sagte er
wir gehen fort von hier
vor dem großen Erwachen
Der Freundin:
weinen lernen
dass du nicht erstickst
an Unverstandenem
lachen lernen
dass dir aus Tränen
Schwingen wachsen
fliegen lernen
dass du Licht wahrnimmst
hinter den Zonen der Nacht
(Mein letzter Wunsch
nur dieser:
schmerzlos einschlafen zu dürfen
ohne marternde Schläuche
ohne letzten Therapie-Druck
ohne künstliche Verlängerung
ausklingender Tage
nur dieser Wunsch:
eine Wärmflasche
Ruhe in entspannter Lage
noch einen kleinen Espresso
vor der weitesten Fahrt
liebe Begleiter warme Musik
ein Lied ein Gebet
das mich hebt über die Hürden)
Widerruf
das Leben finden
das Leben bringt
die Liebe leben
die den Tod durchdringt
das Lied erhorchen
das zu aller Tode Widerruf
ein Engel singt
Du selbst sein
in hellen Augenblicken
in den dunklen
Abgründe aus halten
in der Schwebe schauen nach Licht
dich zu lösen aus Lähmung
Frag die Rose
nach dem Sinn des Seins
sie strahlt dir
wortlos Antwort zu
Dieser Tag
Ich segle dahin
unter dem blassen Himmel
durch einen langen Tag
hinter der Stirn mein Kompass
Gedanken wie Wind zu neuen Ufern
Licht fortzüngeln
eine Lichtkette bilden
von Nord nach Süd
von Ost nach West
gegen den Ansturm
der Nacht
Licht fortzüngeln
von Generation
zu Generation
zur Zündung
von Menschlichkeit
Langer Weg
Bin lange durchs Leben gelaufen
war manchmal zum Haareraufen
war manchmal zum Lachen
manchmal zum Weinen
bin lange durchs Leben gelaufen
war verträumt und verliebt
und was es sonst noch gibt
voller Pläne voller Glück
brachte Kinder auf die Bahn
hielt zum Denken sie an
schrieb auf Papier manche Zeile
festzuhalten was nicht zu halten
jetzt gehör ich zu den Alten
ein Ort zum Verweilen
am Ende der Zeilen
Die Zeit
wie sie über dich hinweggeht
mit zielsicherem Schritt
wie sie dich zurücklässt
achtlos im Nebelgrau
aller Vergangenheit
wie sie dich schiebt
ins Vergessen
die Zeit diese Zeit
die ohne Menschengesicht
gar kein Gesicht hätte
die ohne Menschenaugen
blind bliebe für Beständiges
Trauer
widerruft nicht das Glück
sich anfreunden mit Tränen
heißt das Land
der Freude befruchten
So viel Trauer
hängt in der Luft
dass dich Lähmung trifft
dass dir das Atmen schwer fällt
dass du weinst
mit denen die weinen
dass du Trost suchst
mit den Trostlosen
dass du dich verloren fühlst
mit den Verlorenen
Wann
wagst du
aufzustehen
das Trauma
abzuschütteln
das in den Zweigen
deines Nachtbaums nistet
Leben
zu leben kostet
einen Glauben
anders könnte
nie Licht
überleben
das Dunkel
Noch ist Sommertag
und offen der Himmel
die Luft voller Samen
nd süßem Duft
in den Feldern der Mohn
in den Gärten Margriten
am Steilhang
zwischen Moos
mein kleines Gedicht
noch ist Sommertag
und offen der Himmel
es dreht sich der Drachen
lautlos im Wind
der Surfer spannt den Flügel
zum Flug über Fluten
am Spinnennetz spinnt
mein kleines Gedicht
noch ist Sommertag
und offen der Himmel
es atmet die Erde
ganz arglos im Traum
was tun-wenn durch Menschen
Zerstörung einbricht
schon wachsen Taubenflügel
meinem kleinen Gedicht
Das Hohelied
komm in meinen Garten
Liebster
der schiefe Birnbaum
möcht gestützt werden
wir bauen eine Leiter
mit blühendem Gehänge
dass Trübsinn vergeht
über hellem Lachen
komm in meinen Garten
Liebster
schwächer geworden
die Äste des Flieders
doch diu spürst den Duft
der vollen weißen Dolden
der trunkensüßer nie war
in all unsern Jahren
komm in meinen Garten
Liebster
komm in die Nische
zu mir ins Zaubereck
die Baumbank trägt noch
nach so vielen Wintern
in ihren Poren eingeritzt
das Hohelied unserer Liebe
Nichts erwarten
sich einlassen
auf Ungereimtes
Hintergründe ertasten
mit behutsamer Hand
nichts erwarten
als den Reim
auf Ungereimtes
Welchen Aufbruch
hast du im Sinn
wenn du von Frieden träumst
ist Vertrauen dein Verbündeter
und Glaube die Triebfeder
des Weges über die Wellen?
denn Träume ohne Vertrauen
verblassen im Licht
und Wagnis ohne Glauben
ist Wahnwitz auf den Wassern
Wann wirst du wach
den Tag zu erkennen
mit seinem Anspruch
an dich
an deine Hände
an deinen Kopf
an deine Zärtlichkeit
wann wächst du
unter dem Angebot
von Licht
über dich hinaus
die Brücke deiner Vision
zu besteigen
Gärten zu entzünden
mit dem Blütenstaub
der Freude
verschwenderisch
Gärten entzünden